Die Entstehung des Freistaat Flaschenhals

Lieber zweimal prüfen als einmal bereuen – was nach einem soliden Lebensmotto klingt, war den Siegesmächten des Ersten Weltkriegs offensichtlich nicht geläufig. Denn hier wurde nicht zweimal geprüft, vielleicht sogar gar nicht. Und das wurde in den Folgejahren bitter bereut.

Aber von vorne: Am 11. November 1918 wurde das Waffenstillstandsabkommen von Compiègne zwischen dem Deutschen Reich und den alliierten Siegermächten unterzeichnet. Für das Deutsche Reich als Kriegsverlierer bedeutete das: politischer Umbruch, Kaiser Wilhelm II musste abtreten und die Demokratie trat ein – hallo Weimarer Republik!

Was nach Neuanfang klingt, bringt aber auch einiges an Problemen und offenen Fragen mit sich. Wie ging man beispielsweise mit den Siegesmächten um, die Teile des Deutschen Reichs besetzt hielten?

Die hatten wenig Vertrauen in die Deutschen und hielten sie für schlechte Verlierer, die in einem unbeobachteten Moment heimlich aufrüsten und zurückschlagen könnten. Um das zu verhindern, besetzten die Alliierten das linke Rheinufer und errichteten Brückenköpfe in Köln (britisch), Koblenz (amerikanisch) und Mainz (französisch). So hatten sie praktischerweise auch immer ein Auge auf das, was rechtsrheinisch passierte.

Und wie legte man die Kontrollzonen fest? Ganz einfach: Man nahm sich einen Zirkel zur Hand und schlug Halbkreise um die drei Städte. Fertig. Clever? Fast.

Denn genau hier hätte ein prüfender Blick Wunder gewirkt. Zwischen den amerikanischen und französischen Halbkreisen blieb nämlich eine Freifläche übrig. Eine Fläche ohne Kommandogewalt, von niemandem besetzt, von niemandem kontrolliert. Eine Fläche von Bodenthal bis Lorch bis zum Roßstein bei Kaub, weiter bis Laufenselden im Taunus. Eine Fläche unbesetztes Deutschland, das bald für Gesprächsstoff sorgen sollte.

Das Gebiet zwischen den Halbkreisen sah ein bisschen aus wie ein Flaschenhals. Und genauso eingeengt war auch die politische Lage. Die Deutschen freuten sich über dieses unbesetzte Stück Land und waren fest entschlossen, es auf keinen Fall herzugeben. Frankreich hingegen hatte großes Interesse daran, den Flaschenhals seinem Besatzungsbereich zuzuschlagen.

In den folgenden Jahren wurde es also alles andere als langweilig: Es kam zu handfesten Streitigkeiten, kleinen und großen Konflikten – und zu echtem Schmuggel-Abenteuer. Dazu gesellten sich allerlei ungeahnte Probleme.

Kleiner Hinweis am Rande: Auch wenn der „Flaschenhals“ manchmal als Freistaat bezeichnet wird – offiziell war er das nie. In keinem Behördenpapier taucht dieser Titel auf, und rechtlich gesehen war das Gebiet ganz klar ein Teil von Preußen. Es gab dort weder eine eigene Verfassung noch eine richtige Regierung, die vom Volk gewählt worden wäre.